Das Münchener Modell
Annabelle Kießig
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich das Bestreben nach einer Differenzierung des Hell-Dunkel-Gefälles der Klangfarben. Insbesondere strebte man in den tiefen und mittleren Lagen nach großvolumigen Klängen (vgl. Heyde 1983, S. 233). Im Gitarrenbau führte dieses Bedürfnis zur Vergrößerung des Gitarrenkorpus, wobei speziell dem Spanier Antonio Torres bahnbrechende Verdienste zukommen (vgl. Buek 1926, S. 148, 152; Romanillos, S.106; Päffgen S.167).
München galt spätestens nach Verlegung der Internationalen Gitarristischen Vereinigung (IGV) von Leipzig nach München im Jahr 1899 als Zentrum der deutschen Gitarristik. Zu den wichtigsten Zielsetzungen der IGV gehörte die Belebung der Gitarrenliteratur, vor allem durch ein instrumentengerechtes Repertoire. Die Gitarre sollte aus dem Kreis der Dilettanten-Instrumente gelöst werden (Buek 1926, S. 195-197).
Als Vorreiter im mitteleuropäischen Gitarrenbau bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts galt jedoch Wien. Heinrich Halbig, Gitarrenlehrer in München und Schüler von Heinrich Albert, vermittelte viele Gitarren aus Wiener Werkstätten, z.B. von Stauffer, an Münchener Gitarristen, wodurch die dortigen Instrumentenbauer wie Raab, Halbmeyer, Amberger und später Wach oder Hauser Einblicke in deren Konstruktion hatten (Huber 1995, S. 73; Buek 1926 , S.130).
In München wurden die Wiener Modelle nachgebaut und weiterentwickelt, vor allem in bezug auf Mechanik, Bespielbarkeit der Griffbretter, Lautenbauweise und Wappenform des Korpus (Huber 1995, S.130). Seit wann die starke Taillierung der Wiener in die weniger taillierte Form der Münchener Gitarren überging und wer diese Bezeichnung einführte, ist nicht geklärt.
Katalog 1933, S. 5, Nr. 65  Richard Jacob verstand das Münchener Modell als eine Korpusform mit geringerer Taillierung als bei seinen Wiener Modellen. Martin Jacob bemerkt das in seinen Kurzbeschreibungen über die Gitarrenmodelle des Vaters wie folgt: "Neben den Wiener Modellen entstand in München ein Münchner Modell, bei dem der Bug  nicht so stark eingeschnürt und die breiten Teile mehr die direkte Kreisform hatten" (Martin Jacob 1986, S. 11, Anm. zu Inv.-Nr. 4763).
Richard Jacob: Verkaufskatalog 1933, S. 5: Nr. 65: "Münchener Modell / Nr. 65 Herren-Modell mit stark gewölbtem Boden, von geflammten Ahorn, fleckenreiner goldgelber Lack oder rotbrauner Geigenlack, schwarz polierter Hals. / Nr. 66 Wie Nr. 65, jedoch mit kleinerer Mensur 62,5 cm lang, ff. geflammter Ahorn."
Die Münchener Modelle Inv.-Nr. 4763 und 4764 passen mit kleinen Abweichungen auf die Schablone  Nr. 5 von Richard Jacob. Auf ihr ist "Mensur 64" vermerkt, was auch mit den beiden Gitarren übereinstimmt (Inv.-Nr. 5072/347). Auf der Schablone sind vier Querbalken eingezeichnet, welche nur bei der Gitarre Inv.-Nr. 4763 auftauchen. Diese hat sieben Saiten, vermutlich eine Reverenz an die Russischen Gitarren mit sieben Saiten in G-Dur Stimmung. 1778 soll diese von O. Sychra in Rußland geschaffen worden sein. Es existierte daneben ebenfalls eine Stimmung in a-Moll (Buek 1926, S. 89f.). München stand mit Moskau sowie weiteren russischen Städten  - zumindest bis zum I. Weltkrieg - durch die IGV in engem Kontakt und regem Austausch, da sie viele Mitglieder in diesen Städten hatte. Allein in Moskau gab es 23 Mitglieder (Zuth 1919, S. 237; Huber 1995, S. 36).
Bei Inv.-Nr. 4764 fällt die Kreuzbeleistung ("X-bracing") der Decke unterhalb des Schalloches auf. Karl August Jacob hat eine ähnliche Beleistungsanordnung bei der von ihm erhaltenen Gitarre Inv.-Nr. 4934 verwendet. Inv.-Nr. 4764 ist jedoch symmetrisch gebaut und hat nicht die drei schräg über den Unterbug verlaufenden Leisten sondern zwei Querleisten unterhalb des Unterbuges. Im Inventar des Museums existiert eine technische Zeichnung von Richard Jacob, bei der die Kreuzbeleistung jedoch nicht mit der Gitarre Inv.-Nr. 4764 übereinstimmt. Martin Jacob nennt diese Art der Kreuzbeleistung einen "Fortschritt in der konzertanten Spielfähigkeit" (M. Jacob 1986, S. 13; Anm. zu Inv.-Nr. 4764), doch es gäbe keine Hinweise, auf wen diese Beleistungsart zurück gehe.
  4764
Richard Jacob: Münchener Modell, Markneukirchen 1921/1944; Inv.-Nr. 4764
Allerdings hatte C. F. Martin schon um 1850 das "X-bracing" entwickelt und bei seinen Gitarren etabliert (Evans 1977, S. 222). Diese Beleistung war für Darmsaiten und seidenumsponnene Bässe gedacht, bevor erst um 1900 Stahlsaiten benutzt und das "X-bracing" verstärkt wurde. Christian Frederik Martin sen. lernte bei Stauffer in Wien und wanderte 1833 von Markneukirchen in die USA aus. 
Somit bleibt die Frage ungeklärt, ob und an welchen Gitarren Richard Jacob eine Kreuzbeleistung gesehen haben könnte. Zumindest war die Beleistungsart nicht neu. Vielleicht entwickelte sie Richard Jacob selbständig, ebenso wie er bei seinen anderen Gitarrenmodellen prinzipiell viel bei den Beleistungen variiert und experimentiert hat, um unterschiedliche Klangergebnisse zu erzielen. 
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