Streichzithern |
Andreas Michel |
Georg Kinsky nannte in seinem Katalog zur Heyerschen Instrumentensammlung die Streichzither ein "ziemlich
überflüssiges Instrument". Mag diese Ansicht aus der Sicht der Geschichte europäischer Kunstmusik
stimmen, so darf der in großen Stückzahlen erfolgte Bau verschiedenster Streichzithermodelle und deren
massenhafte Verbreitung in einem Zeitraum von über einem Jahrhundert hinweg nicht ignoriert werden. |
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Welche Idee lag dem 1823 von dem Münchener Johann Petzmayer
erfundenen Instrument zugrunde? Streichzithern modifizieren die individuellen baulichen Merkmale der Zither
derart, daß diese mit einem Bogen angestrichen werden kann, die Zupfspielart also dem Streichen weicht.
Zunächst war also eine Verringerung der Saitenzahl notwendig: Petzmayers frühe Instrumente waren lediglich dreisaitig
(erst einige Jahre nach der Erfindung wurde der viersaitige Bezug zum Standard). Zugleich mußte die
Saitenebene ausgewölbt werden - die wohl noch wichtigere Voraussetzung für ein Streichinstrument.
Eigentlich fanden sich diese Merkmale in voll ausgereifter Form seit mehreren Jahrhunderten in der Violin-Familie gegeben, so daß sich die Frage nach dem Neuen mehr als
berechtigt stellte. Die Individualität der Streichzither leitet sich aus mindestens zwei Merkmalen ab. Zum
einen ist es das der Zither entlehnte Griffbrett mit Metallbünden und eine der klassischen Violinstimmung
spiegelbildlich folgende Besaitung: Die höchste Saite bindet sich nicht links, sondern rechts vom
Griffbrett. Und wie bei der Zither sollte der Spieler im Sitzen musizieren, auch die Streichzither wurde auf
einen Tisch gelegt oder zwischen den Schoß des Spielers und die Tischkante geklemmt.
Um sich zudem deutlich von den Vorbildern der Streichinstrumente abzuheben, wählte man für den ersten und auch
beständigsten Streichzithertyp eine Herzform. Der Obersattel befindet sich hier direkt auf der Korpusspitze.
Bis auf die ungewöhnliche Gestalt brachte die Erfindung an sich nichts wesentlich Neues. Erst die Vereinigung mehrerer,
jeweils für sich genommen auch historisch bewährter Eigenheiten lassen bedingt von einer Neuentwicklung
sprechen. |
Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. XXXVIII, v. 16.11.1836, Sp. 759 |
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Parallel und zeitgleich, ebenfalls im Jahre 1823, baute der Wiener Instrumentenmacher Johann Georg Stauffer
Streichgitarren (unter dem Namen Arpeggione bekannt geworden, vgl. Nr. 609). Auch hier liegt das
gleiche, von Petzmayer praktizierte Verfahren der Mutation eines Zupfinstruments in ein Streichinstrument
vor. |
Obwohl die herzförmige, 1823 von Johann Petzmayer in München kreierte Streichzither als Prototyp gelten darf, folgten
in den nächsten Jahrzehnten zahlreiche Variationen und Neubildungen der Streichzither. |
Breitoline |
Die Breitoline, ein
nach ihrem Erfinder Leopold Breit benannte und von diesem 1856 in Brünn gebaute Streichzither
mit dem Korpus einer Bratsche lehnt sich an die klassische Form der Streichinstrumente an. Sie
wurde zunächst mit 5 Stahlsaiten bezogen, später dann in kleineren Ausführungen mit 4 Saiten in
Geigenstimmung. Das Synonym Schoßharfe leitet sich von der Spielhaltung her: Das
Instrument wird auf den Schoß gelegt und gegen den Tisch gestemmt. Als Besonderheit ist der
abschraubbare Hals erwähnenswert. |
Streichmelodion |
Wenige Jahre später entstand
mit dem Streichmelodion eine weitere Variante, die ein historisierendes Violenkorpus
aufweist. Auffallend ist das breite Griffbrett mit rechteckigem Grundriß. Als vergrößerte und
klangkräftigere Streichzither wurde es vor allem in Markneukirchen gebaut. Im 19. Jahrhundert
stellte dort die Fabrik Ernst Rudolf Glier (gegr. 1884) Streichmelodions her. Zum Spielen wird
das Instrument flach auf den Tisch gelegt oder wie die Breitoline zwischen Schoß und Tischkante
geklemmt. |
Violinett |
Das Violinett ist
ebenfalls eine auf den Tisch zu legende Streichzither, die sich an wesentliche Eigenschaften der
Violine (deren Besaitung, Baßbalken, Stimme, Steg und Schallöcher) anlehnt. Aufgrund des
Korpusumrisses, der Deckenform und -stärke steht es etwa zwischen Geige und Zither.
Erfinder und Hersteller dieses Streichinstruments war der Zithermacher Johannes Pugh, der für
das Instrument 1903 ein Patent erhielt (D.R.P. Nr. 154206). In der Patentschrift wird allerdings
der Name Violinett nicht genannt, es ist lediglich von einem »Streichinstrument« die
Rede. Pugh, der seine Erfindung auch in Großbritannien und Österreich patentrechtlich schützen
ließ, baute das Violinett als Satz in Diskant-, Alt-, Tenor- und Baßlage.
ZfI XXIV, 1904, S. 643; Heyde 1989, S. 16. "Violinette": Warenzeichen der Firma Heinrich
Suhr, Neuenrade i. W.; angemeldet am 28.3.1901; eingetragen am 21.10.1901; Geschäftsbetrieb für
die Fabrikation von Streichzithern (ZfI XXII, 1901, 183). |
Violin-Melodion |
Noch stärker als das
Streichmelodion lehnt sich das Violin-Melodion an die klassische Violinform an. Dieses,
allerdings seltener gebaute Instrument mit Violinstimmung, besitzt ein gewölbtes Griffbrett mit
Bünden, das sich in Form und Maß stark an das Violingriffbrett hält. (vgl. Frankfurt/O.,
Inv.-Nr. 119) |
Philomele |
Auch die um die Mitte des
19. Jahrhunderts wahrscheinlich in München erfundene Philomele oder Stahlgeige
weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem Streichmelodion auf. Das flache Korpus sowie die
Deckenberippung weisen sie als Streichzither aus, wobei die Annäherung an die Violine durch den
Wegfall von Bünden verstärkt wird. Die Preisliste Nr. 70 der Markneukirchner Handelsfirma
wunderlich (um 1929) führt die Philomele mit Schraubenmechanik synonym mit Streichmelodion (vgl.
Nr. 904). |
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Seit etwa 1895 werden die Streichzithern mit einer Schraubenmechanik mit Schneckengetriebe gebaut. |
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Preisliste über Musikwaren und Saiten von Gustav Roth. Markneukirchen (Sachsen). Gegründet 1870. Markneukirchen o.J. [um 1900], S. 30 |
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Violinzither |
Als Sonderform der Streichzither, eigentlich als Kompilation von Schlag- und Streichzither sind die unter dem Namen Violin-Zithern und Violin-Harfe im 20.
Jahrhundert verbreiteten Instrumente anzusehen. 1925 erhielt die Firma Clemens Neuber in Klingenthal einen Gebrauchsmusterschutz für eine neu entwickelte Violin-Zither (D.R.G.M. Nr. 903152). Das Instrument
verbindet Merkmale der griffbrettlosen Akkordzither mit den Möglichkeiten, einzelne Saiten anzustreichen. Zum Streichen der Melodiesaiten wird ein kurzer, nur etwa 55 cm langer Violinbogen verwendet, der mit der
rechten Hand geführt wird. Die meist 18 diatonisch gestimmten Saiten für das Melodiespiel sind von unterschiedlicher Länge, so daß jede an einer bestimmten Stelle einzeln angestrichen werden kann. Die Saiten
für die Melodiebegleitung sind in 5 oder 6 Akkorden zusammengefaßt, so daß eine einfache funktionsharmonische Liedbegleitung ausgeführt werden kann. Gespielt wurde nach Unterlegnoten, auf denen
auch die zupfenden Akkorde vermerkt waren. Die Violin-Zithern mit dem Namen "Kalliope" der Handelsfirma C. A. Wunderlich, Siebenbrunn (Vogtland), trugen das D.R.G.M. Nr. 973507. Die Konzert-Violin-Harfe
ist eine von dem Klingenthaler Max Lausmann (geb. 1905) gebaute Variante der Violin-Zither (Reinbothe 1987, S. 7f.). |
Stimmungen der Streichzither |
ursprünglich 3 Saiten (Petzmayer 1823) |
a' - d' - g |
viersaitiger Bezug (= Violinstimmung, invertiert) |
e² - a' - d' - g |
auch als fünfsaitiger Bezug mit zusätzlichem c |
e² - a' - d' - g - c |
Viola-Streichzither (= Bratschenstimmung, invertiert) |
a' - d' - g - c |
Cello-Streichzither |
e' - a - d - G |
Baßstimmung |
a - d - G - C |
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Inhalt |
Zithern - Übersicht |
Bibliographie |
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© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 2000 |