Baßgitarren
Angela Waltner
Bei Gitarren lässt sich bereits im Generalbaßzeitalter – analog zu Laute und Zister – die Erweiterung des Bassregisters durch Hinzufügen zusätzlicher, diatonisch gestimmte Baßseiten beobachten. Allerdings erlangte dieses Prinzip erst im 19. Jahrhundert größere Bedeutung für den Gitarrenbau.
Zwei Gesichtspunkte waren ausschlaggebend: Zum einen sollte das Klangvolumen vergrößert und zum anderen im Ensemblespiel auch die Baßbegleitung von der Gitarre übernommen werden.
Das wurde teilweise durch vergrößerte Formen wie Quintbaßgitarre (A D G c e a), Sextbaßgitarre (C F B es g c') oder Septimbaßgitarre (D G c f a d') verwirklicht. Zur Vergrößerung des Baßbereiches dienten unterschiedliche Konstruktionsweisen. Entweder ist der Kopf für mehrere zusätzliche Basssaiten vergrößert und diese laufen meist am Griffbrett vorbei oder es wurden die Gitarren mit einem zweiten Hals versehen, der meist nicht bebundet ist und lediglich statische Forderungen erfüllt, d.h. den Saitenzug auffangen soll. Die Saiten waren meist diatonisch gestimmt und konnten bei Bedarf um einen Halbton nach unten oder oben gestimmt werden.
Simon Molitor empfiehlt in der "Vorrede zur großen Sonate für Guitarre allein, op. 7" von 1809 die Vermehrung der Saitenzahl um zwei oder drei tonartgemäß einzustimmende Bässe vgl. Zuth 1926, 9). Nach der Gitarreschule von Eduard Bayer (um 1860) machte Luigi Legnani erstmalig Gebrauch von zwei zusätzlichen Baßsaiten. Bis um 1860 wurden demnach bis zu vier zusätzliche Baßsaiten verwendet (Bayer um 1860, 12).
Legnani spielte ein achtsaitiges Instrument mit C- und D-Saite, das er "nuova chitarra a otto chorde" nannte (Zuth 1926, 9). In Paris meldeten Ferdinand Carulli und René Lacote 1826 ein Patent auf eine zehnsaitige Gitarre an, wobei die vier zusätzlichen Baßsaiten durch einen Stimmmechanismus einen Halbton höher gesetzt werden konnten. Ferdinand Carulli schrieb für diese Gitarre eine Schule (vgl. Ribouillault 1985, 4ff.). Sein Ziel war vor allem eine möglichst weitgehende Vereinfachung der Spieltechnik.
Als geniale Erfindung erwähnt Fritz Buek die sogenannte Bogengitarre des Wieners Friedrich Schenk, eines Schülers von Johann Georg Stauffer, bei der der Resonanzkörper in der Form eines Armes bis über den Kopf gezogen und dort mit einem zusätzlichen Schallloch versehen ist (Buek 1926, 151).
Der Baßgitarre wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts sogar der Charakter eines Konzertinstruments zugedacht, wie Gustav Adolph Wettengel in seinem "Lehrbuch der Geigen- und Bogenmacherkunst", in dem auch ein Kapitel dem Gitarrenbau gewidmet ist, anmerkte:
"Soll die Guitarre als Konzertinstrument oder für eigentliche Virtuose dienen, so hat sie außer den 6 Saiten der gewöhnlichen Gitarre noch vier Begleitsaiten, also im ganzen zehn Saiten. Indessen ist die Verwendung der Guitarre als Konzertinstrument ziemlich selten geworden."
Einen Versuch, der hier angesprochenen Verdrängung der Gitarre aus dem Musikleben entgegenzuwirken und zur Weiterentwicklung der Gitarre anzuregen, unternahm der russische Gitarrenvirtuose Nikolaj Petrovic Makarov. Auf seine Initiative hin fand 1856 in Brüssel ein Kompositions- und Gitarrenbauwettbewerb statt. Die Teilnahmekriterien forderten unter anderem, daß die Gitarren ein großes Format und vorzugsweise zehn Saiten – darunter die Baßsaiten D, C, H' und A' - aufweisen sollen (vgl. Stempnik 1990, 369ff.; Buek 1926, 40f.).
Gewinner war der Wiener Gitarrenbauer Johann Gottfried Scherzer. Dessen Gitarre in russischer Stimmung (D G H d g h d') besitzt einen zweiten Hals mit drei zusätzlichen Baßsaiten. Die Gitarren Scherzers wurden in Rußland von professionellen Gitarristen und Virtuosen sehr geschätzt (Buek 1926, 150).
Um 1880 setzten sich in Wien zweihälsige "Schrammelgitarren" durch. Diese wurden von dem weltberühmten Schrammelquartett (1877-1890), benannt nach den Brüdern Johann und Josef Schrammel, gespielt und besaßen 13 –15 Saiten. Typisch für dieses Modell ist der Kopf in Staufferform und die Mechanik mit einseitig angebrachten Wellen und gravierter Metallplatte. Der Hals ist mittels einer Schraube mit dem Korpus verbunden, das Griffbrett schwebt frei über der Decke. Das Korpus ist breit und niedrig gehalten, wobei der Boden eine relativ starke Wölbung aufweist. Bedeutendste Bauer von Schrammelgitarren sind Wendelin Lux, Joseph Swosil und Franz Angerer (Buek 1926, 151). Diese Baßgitarren fanden häufig Einsatz in der Volksmusik im österreichischen und süddeutschen Raum.
"Das Spiel der Freisaiten bedingt (besonders beim Harmoniewechsel) ein rasches Abdämpfen; es wird gewöhnlich durch Abbiegen des Daumes in der Weise bewerkstelligt, daß der abgebogene Knöchel die angeschlagene Saite streift." (Zuth 1926, 250).
Um 1900 wurde das künstlerische Gitarrenspiel vor allem durch die Bemühungen des Internationalen Gitarristenverbandes (IGV) mit Zentrum in München und Augsburg wiederbelebt. Bei der Auswahl des Repertoires griff man auf Literatur der Biedermeierzeit zurück. Gleichermaßen orientierte man sich an den experimentellen Formen dieser Zeit, vor allem aus dem Wiener Gitarrenbau. Baßgitarren in den verschiedenen Variationen wie Bogen-, Wappen- und Lyragitarren wurden weiterentwickelt (vgl. Huber 1995, 141ff.).
Die Schrammel- und Bogengitarren mit ihren großen Korpora wiesen jedoch eine hohe Rißanfälligkeit sowie eine starke Kopflastigkeit auf. Die erreichte Verbesserung der Lautstärke konnte diese Mängel nicht kompensieren (vgl. Huber 1995, 145ff.). Vor allem aber traten diese Formen in den Hintergrund, als die durch spanische Künstler in Mitteleuropa bekannt gewordene spanischen Gitarren mit Fächerbeleistung eine andere Klangdimension aufzeigten.
4776 Richard Jacob baute Baßgitarren in verschiedenen Formen. Bei Inv.-Nr. 4776 handelt es sich um eine 13-saitige Schrammelgitarre. Mit dieser Gitarre hat sich Richard Jakob allerdings von den Modellen der Wiener Tradition gelöst. Er verwendete nicht die gewöhnliche Wiener Form mit engem Mittelbug, sondern die spanische Form. Auch weisen die Zargen die Höhe eines spanischen Modells auf, und der Boden ist nur wenig gewölbt.

Inv.-Nr. 4777 zeigt eine Variation mit parallel zum Hals stehendem Kopffortsatz, an den drei Baßseiten mit zunehmender Saitenlänge angebracht sind. Die Wappenform dieser Gitarre stammt ebenfalls aus der Biedermeierzeit.
Richard Jacob: Baßgitarre, Markneukirchen 1940; Inv.-Nr. 4776
In Katalogen der Markneukirchener Verleger erscheinen die Baßgitarren vor allem mit zwei Hälsen, entweder in Acht- oder in Wappenform mit 4 bis 9 Kontrasaiten. Sie werden jeweils auch in russischer Stimmung angeboten, offensichtlich fanden sie auch in Rußland Verbreitung.  Katalog 1933, S. 6, Nr. 87
Richard Jacob: Verkaufskatalog 1933, S. 6:

"Nr. 87 Konzert-Kontra-Gitarre [...] ist mit einfachem Kopf und mit ein, zwei oder drei freischwingenden Kontrabässen. Das Anbringen von Kontrabässen auf so einfache Weise ist für künstlerisches Spiel und findet viel Beifall. Die tiefen Kontrabässe geben dem Instrument erhöhte Klangwirkung und tonliche Belebung und eigenen sich zur Wiedergabe von Coste'schen und anderen Werken."
Als Begründer dieser Form gilt Bernhard Enzensberger, der 1831 dazu ein Privilegium "auf Verbesserungen im Bau von Guitarren" erhalten hatte. Prochart (1979, 43) zitiert aus der Privilegschrift, in der Angaben zu Proportionsverhältnissen stehen und die Form beschrieben wird. Auch in Frankreich taucht die Wappenform in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf.
4776 Wirbelkasten 4777 Wirbelkasten Wirbelkästen der Baßgitarren Inv.-Nr. 4776 und 4777
Der Entwurf des Instruments geht auf eine siebensaitige Terzgitarre zurück, die ein Leningrader Gitarrenprofessor von Richard Jacob nach einer Skizze anfertigen ließ. Weißgerber baute demnach das gleiche Modell noch einmal mit neun Saiten und der Mensur von 65 cm. Bis auf die Wappenform ist diese Gitarre von der modernen Bauweise geprägt. Sie weist eine Fächerbeleistung auf. Die Griffbrettsaiten sind an den Steg geknüpft und die Baßsaiten mit Steckern befestigt. Die Stecker der Baßgitarrenstege dienen ja auch dazu, das Abreißen des Steges durch die Saitenzugkraft zu verhindern.
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