Voluten
Andreas Michel
Bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts weisen die Zithern ein für sie typisches ergologisches Merkmal auf: Den in eine Volute oder einen volutenartigen Kopf auslaufenden Wirbelstock. Nach dieser individuellen Formgebung erhielten die Instrumente auch volkläufige Namen wie Helmzither oder Hornzither. Anhand der in der Leipziger Sammlung vertretenen Zithern läßt sich sehr gut beobachten, wie sich mit der Veränderung der Korpusbreite auch die Gestalt der Wirbelstöcke änderte. Mit kleinen Auswölbungen bei den Köpfen der Tiroler Kratzzithern des 18. Jahrhundert (Inv.-Nr. 418 und 417) beginnt eine Entwicklungsreihe, die sich über sanft geschwungene Voluten mit Schnecken - zweifellos Adaptionen vom Streichinstrumentenbau - bei frühen Schlagzithern (Inv.-Nr. 424) und Doppelzithern (Inv.-Nr. 474) fortsetzt. Eine nüchterne Formreduktion weist dann die von Tiefenbrunner reparierte Schlagzither (Nr. 451) auf, bei der die schlichte Helmform in eine Schnecke ausläuft. Andere Instrumente aus der gleichen Zeit ersetzen die Schnecke durch einen ornamentierten Metallknopf (Inv.-Nr. 435). Etwas später dann erscheinen Instrumente mit mehr als zwanzig Saiten, bei denen die Helmform ohne jegliche Verzierung ausgearbeitet wurde (Inv.-Nr. 450 und 463).
Kratzzither, Tirol, 18. Jahrhundert Kratzzither, Tirol, 18. Jahrhundert Kratzzither, Tirol, 18. Jahrhundert Doppelzither, Tirol, vor 1800 Schlagzither, Ignaz Simon, Haidhausen 1851 Schlagzither, Franz Kren, München um 1840  
Inv.-Nr. 416 Inv.-Nr. 417 Inv.-Nr. 424 Inv.-Nr. 474 Inv.-Nr. 463 Inv.-Nr. 442  
Schlagzither, süddeutsch, 1. Drittel 19. Jahrhundert Schlagzither, Bayern, Anfang 19. Jahrhundert Schlagzither, Ignaz Simon, Haidhausen 1844 Streichzither, Anton Kiendl, Wien um 1855 Doppelzither, wohl Franz Kren, München um 1840 Perfektazither, Franz Xaver Gütter, Wien 1902  
Inv.-Nr. 451 Inv.-Nr. 435 Inv.-Nr. 450 Inv.-Nr. 3236 Inv.-Nr. 475 Inv.-Nr. 3926  
Bei besonders kunstvoll gestalteten Instrumenten wie der bayerischen Doppelzither Inv.-Nr. 475 zieren geschnitzte Löwenköpfe die Stöcke, wobei auch hier die Grundform beibehalten wird. Ebenfalls bei den sehr individuell gestalteten Zithern von Franz Kren (Nr. 442 und 443) wird die Volute, korrespondierend mit der symmetrischen Korpusgestaltung, zweifach in spiegelbildlicher Anordnung angedeutet. Wie stark die Formgebung des Wirbelstockes tradiert bleibt, macht die herzförmige Streichzither von Anton Kiendl aus dem Jahre 1855 (Inv.-Nr. 3236) deutlich, bei der sich die Helmform des Wirbelbrettes nur noch wenig organisch in die Gesamtgestaltung einfügt.
Der Umschwung im Zitherbau um die Jahrhundertmitte, hervorgebracht durch das neue Besaitungssystem, größere Mensuren und die zunehmende Vermehrung der Saitenzahl bringt die moderne Konzertzither hervor. Dabei unterliegt auch die Formgebung einer gewissen Rationalisierung, die den Wegfall der akzessorischen Wirbelstockelemente bewirkt. Die Abkehr vom Volksmusikinstrumentenbau hin zur professionellen Fertigung hat sich endgültig vollzogen.
Erst mit dem Historismus der Gründerzeit, der sich im Instrumentenbau im Rückgriff auf die Formenwelt vergangener Stilepochen zeigt, gewinnt die bildkünstlerische Ausgestaltung des Wirbelstockes mit Ornamenten und Schnitzarbeiten wieder an Bedeutung. Der Wiener Instrumentenbauer Franz Xaver Güttler stattete seine um die Jahrhundertwende gebaute Perfekta-Zither (Inv.-Nr. 3926) mit einem prächtigen Löwenkopf, einer frei der ionischen Säulenform nachempfundenen Baronstange sowie einem wulstartigen Bandornament zwischen den Wirbelreihen aus. Dem Instrument verleihen diese Elemente einen historisierenden, aber nur wenig eklektischen Charakter, der gut mit der strahlenförmigen Anordnung der Saiten korrespondiert.
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© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 1999