Zitherstimmungen |
Andreas Michel |
Das hervorstechendste Merkmal der modernen Zither-Stimmung, das
Quart-Quintsystem in den Begleitsaiten - oft als geniale Neuerung in der Instrumentenentwicklung überhaupt
gepriesen - hat bereits ein Vorbild in einem Instrument der Spätrenaissance. Michael Praetorius dokumentiert
im zweiten Band seines "Syntagma Musicum" eine Zister, die er als "Zwölff Chöricht Zitter" bezeichnet
(Praetorius 1619, S. 55). Für sie gab er als Stimmung an: es B f c g d a e h g d' e'. Dieser Stimmung liegt
in den vier oberen Chören die Stimmung der italienischen vierchörigen Zister zugrunde. Es folgen dann zwei
im Quart- bzw. Quintabstand ineinander verzahnte diatonische Reihen von je vier Tönen: |
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Für die weitere Entwicklung der Zister blieb diese Stimmungsart
der Baßchöre, bei der jeweils die Grundtöne der Kadenz unmittelbar nebeneinander liegen, ohne Bedeutung. Sie
muß am Beginn des 17. Jahrhunderts ebenso wie das von Praetorius beschriebene Instrument als Experiment,
eventuell in Anlehnung an die Lira da Gamba, angesehen werden. Auch bei der Lira da gamba wurden die 12 und
mehr Saiten in gleicher Weise, also in aufsteigenden Quintschritten, gestimmt (vgl. Praetorius 1619, 49 und
26). Allerdings kann sie als Vorbild für die mehr als zweihundert Jahre später praktizierte Stimmung der
Zither angesehen werden. |
Ob jedoch hier eine Kausalität vorliegt, darf eher angezweifelt
werden. Die unüberschaubar große Anzahl verschiedener Stimmungen, die sich erst am Ende des 19. Jahrhunderts
auf einige wenige Standardstimmungen reduziert, muß als Optimierungsprozeß verstanden werden. Ausgehend von
den Scheitholten und Kratzzithern geht mit der Vergrößerung der Saitenzahl eine Suche nach durchdachten,
physiologisch geeigneten und logisch-musikalischen Stimmungen der Begleitchöre einher. Diese Logik konnte
letztendlich nur erreicht werden, wenn die schematische Besaitung in diatonischer oder chromatischer Folge
durch eine sowohl physiologisch praktikable, der Motorik der rechten Hand entgegenkommende, als auch
funktionsharmonisch begründete Anordnung ersetzt wird. Das Verdienst, diesen geradezu revolutionierenden
Schritt getan zu haben, kommt Nikolaus Weigel zu. 1836 erschien dessen "Theoretisch-Praktische
Zitherschule" in erster Auflage. In der zweiten Auflage der Schule, die 1844 erschien, fordert Weigel
erstmalig für eine 28saitige Zither ein lückenlos chromatisches Griffbrett und eine Stimmung der
Begleitchöre nach dem Quart/Quintsystem auf der Basis des Quintenzirkels. |
Für den Übergang von der Bordunstimmung der Scheitholte zu
einer diatonischen oder chromatischen Stimmung der ungegriffenen Begleitsaiten bei den ältesten
Schlagzithern lassen sich die charakteristischen Merkmale, wie sie für die Formierungsphase jedes
Instrumententyps gelten, feststellen. Das Stadium des Experimentierens mit individuellen, oftmals nur auf
einzelne Personen zugeschnittenen Lösungen, läßt sich erst nachträglich entwicklungslogisch bewerten. Die
Tendenz zur Vergrößerung der Saitenzahl kann zwar als zwingendes Kriterium herangezogen werden, stellt aber
nur einen, und zudem noch den nicht einmal entscheidenden Teil der Entwicklung dar. Die Art und Weise der
Abkehr von der bei anderen Saiteninstrumenten mit freischwingenden Begleitsaiten (z.B. Theorbe, Harfe)
üblichen Stimmung vom tiefsten zum höchsten Ton in diatonischen oder chromatischen Schritten muß als
eigentliches Entwicklungskriterium betrachtet werden. |
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Inv.-Nr. 449:
Anlage zur Zither von Ignaz Simon |
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Noch
aus der Zeit Julius Bennerts dürfte ein Täfelchen stammen, das einer Zither von Ignaz Simon beiliegt
(Inv.-Nr. 449). Es gibt die Stimmung und das Saitenmaterial für das vierzehnchörige Instrument an. Für die
Griffbrettsaiten wird bereits die "Normalstimmung" a' a' d' g verlangt, wohingegen für das aus acht
Doppelchören und zwei Einzelsaiten bestehende Begleitmaterial eine sehr individuelle Stimmung angeführt
wird. Zu dem 4. und 5. Chor in e² und d² treten acht Chöre mit jeweils zwei Saiten, die zueinander je
zweimal im Sext- und Oktavabstand sowie je einmal im Quint-, Quart-, Sekund- (!) und Dezimenabstand stehen.
Unschwer läßt sich dabei erkennen, daß sich die Doppelchöre vor allem für die Ausführung von Kadenzen in C,
G (mit Septakkord) oder D eignen. |
Die große Anzahl anderer Stimmungen aus der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts weist zwar keine derartig extremen Eigenheiten auf, doch ist sie noch weit entfernt von
einer Normierung (vgl. z.B. Albert 1879 oder Bennert 1885). Auch Johann Petzmayers Stimmung aus dem Jahre
1827 fehlt es an Systematik - immerhin tritt aber schon tendenziell die schwerpunktmäßige Gruppierung der
Reihe hervor. |
Hier wie
auch in vielen anderen Fällen finden sich also bereits vor Weigel bestimmte Ansätze zu einer neuen Stimmung,
qualitativ ausgereift und richtungsweisend ist jedoch erst die konsequent vorgenommenen
Quart/Quint-Stimmung, wie sie kurz vor der Jahrhundertmitte aufkommt. Dennoch setzt sich in der Folgezeit
nur eine einigermaßen überschaubare Standardisierung durch. Begleitet von unermüdlichen Diskussionen über
Für und Wider koexistieren eigentlich bis zur Gegenwart verschiedene Systeme, die sicher funktional
begründet sind und sich somit prinzipiellen Diskussionen weitgehend entziehen. |
Zither-Stimmungen (vgl. Kennedy 1896; Brandlmeier 1963; Breckle 1991) |
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Von Johann Petzmayer (1803-1884) in den
dreißiger Jahren benutzte Stimmung für eine 18saitige Zither; Georg Kinsky ordnete sie der
lyraförmigen Schlagzither von Franz Kren (Inv.-Nr. 442) als mögliche Stimmung zu (nach: Bennert
1885, S. 30). |
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Nikolaus Weigel: Theoretisch practische
Zitherschule / in welcher die Anfangsgründe der Musik / deutlich erklärt, und die vorzüglichsten
Regeln / der Behandlungsweise / für die einfache, wie für die größere vollständigere /
Schlagzither / ... Neue verbesserte Ausgabe. München beÿ Falter & Sohn. [= 2. Auflage 1844] |
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Stuttgarter Stimmung; als Begründer gilt der
Stuttgarter Instrumentenmacher Lorenz Kriner, der 1866 Carl Dietz beauftragte, für die
angegebene Stimmung eine Schule zu schreiben; diese Stimmung blieb nur bis kurz nach die
Jahrhundertwende im Gebrauch. |
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Münchner Stimmung; nach: Michael Mühlauer (1815-1858),
"Theoretisch-praktische Zitherschule"; das Hauptmerkmal der Münchner Schule ist die
oktavierte Notierung der Begleitsaiten im Violinschlüssel.
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"Alte bayerische Stimmung" (nach: Brandlmeier 1963,
S. 49ff.) |
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Heinz Buchecker: L'art du luth. Die Kunst, Cither zu
spielen. 6. Auflage, München 1854; Musikinstrumenten-Museum der Universität Leipzig, Sign.
Is B 295a |
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Wiener Stimmung; nach: C. J. F. Umlauf, "Neueste
vollständige theoretisch-praktische Wiener Zither Schule", 1854; die Verdoppelung der
a'-Saite entfällt, dafür tritt zusätzlich an die 3. Stelle g'. Einen weiteren Unterschied zur
Normalstimmung bilden Oktavierungen verschiedener Töne sowie eine 13. Saite in as' am Beginn des
1. Quintenzirkels.
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Stimmung für die 36-38saitige Zither: Ältere
Form der Konzertzitherstimmung; Vorläufer der heutigen Normalstimmung
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Perfektazither: Veränderte Stimmung des 3.
Quintenzirkels, der durch seine Überlagerung mit der 2. Reihe physiologisch der Handspanne
entspricht. |
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Stimmung für die 40-42saitige
Zither: so genannte "Normalstimmung" für die moderne Konzertzither.
Nach Kennedy (1896, S. 56) wurde die 5. Griffbrettsaite in c erstmals von J. Montlevrin in einer
"Anleitung zur schnellen und gründlichen Erlernung des Zitherspiels", Wien 1844
empfohlen. Die "Anleitung zur schnellen und gründlichen Erlernung des Zitherspiles ... für Instrumente
in der Quinten-Stimmung mit 3 oder 4 Griff- und 15 bis 18 Bass-Saiten" von Lapresle-Montlevrin
erschien 1850 (Mayer 2007, S. 5). |
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Reform-Zither: Die ersten fünf Saiten des
3. Quintenzirkels werden unter die Saiten des 2. Quintenzirkels gelegt. Sie führen über einen
etwa 2-3 mm niedrigeren Steg. |
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Ideal-Reform-Zither: Bei der
Ideal-Reformzither liegen im 1. und 2. Quintenzirkel zusätzliche Saiten, die über einen zweiten,
niedrigeren Steg geführt werden. Angestrebt wird damit die Synthese von Normal- und
Wiener-Stimmung sowie die Verringerung des Abstandes der Randsaiten des 3. Quintenzirkels zum
Griffbrett. |
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Inhalt |
Zithern Übersicht | Bibliographie |
© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 2007 |