English guitar
Andreas Michel
Busby 1811 Mit dem Namen English guitar werden seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf dem europäischen Festland Musikinstrumente bezeichnet, die aus systematischer Sicht keine Gitarren, sondern Zistern sind. In England spielte die fünfchörige Gitarre des 18. Jahrhunderts - wie in Deutschland auch - keine Rolle, so daß man unter dem Begriff guitar oder guittar, der synonym mit cetra oder citra Verwendung fand, einen besonderen Zisterntyp verstand.
Thomas Busby: A complete Dictionary of Music, Third Edition, London 1811
Das Attribut "english" im Namen kam erst um 1800 auf, um das Instrument von der "spanischen" Gitarre zu unterscheiden. In Frankreich gebrauchte man bereits seit etwa 1770 den Namen "guitare angloise", um den Unterschied zur "guitare allemande" und "guitare espagnole" zu benennen.
Um 1820 annoncierte der Leipziger Musikalien- und Musikinstrumentenhändler Carl August Klemm in einem Preiscourant eine "Guitarre" in "Englischer Form mit Maschinen und 6 Drath-Saiten" (Preis-Courant von musikalischen Saiten-, Bogen- und Blas-Instrumenten bey Carl August Klemm. Leipzig o.J., ThHStAW, A 9671).
In Deutschland existierten wahrscheinlich weitere Bezeichnungen, in der Leipziger Zeitung für die elegante Welt vom 04. November 1820 (S. 1723) und in der AMZ vom 13. Dezember 1820 (Sp. 845) wird ein Konzert auf einer elfsaitigen "englischen Mandola" rezensiert (siehe auch Allgemeine Musikalische Zeitung mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat IV, Wien 1820, Sp. 258f.).
Mechanik (Preston's machine) der English guitar von John Preston, London, um 1790, Inv.-Nr. 5005 Die English guitars besaßen in der Regel einen tropfenförmigen Korpusumriß und 10 Metallsaiten, die in sechs Chören angeordnet waren (die beiden tiefsten Saiten jeweils einzeln, dazu vier Doppelchöre oben). Gestimmt wurden sie im Dur-Dreiklang: c - e - g - c' - e' - g'. Seit etwa 1760 wurden die English guitars mit einer später nach ihrem Erfinder benannten Schraubenmechanik, der sogenannten "Preston's machine" ausgestattet. Im Wirbelbrett befindet sich eine Mechanik mit senkrecht geführten Schrauben, auf denen kleine, durch Schlitze geführte Haken sitzen. Mit einem kleinen Schlüssel kann die mit einem Vierkantkopf versehene Schraube gedreht werden, um die in den Haken gehängte Saite zu spannen. Sehr oft besaßen die English guitars auch einen Kapodaster, für den in das Griffbrett zwischen den ersten drei oder vier Bünden Löcher gebohrt wurden.
Mechanik (Preston's machine) der English guitar von John Preston, London, um 1790, Inv.-Nr. 5005
Die English guitar war ein typisches Instrument des Bürgertums, das dilettierend (im positiven Sinne des Wortes) in privater Sphäre musizierte. Charles Burney berichtet, daß das Spielen auf dem Instrument geradezu eine Mode wurde und eine ernsthafte Konkurrenz für die besaiteten Tasteninstrumente darstellte. Das Repertoire bestand ebenso wie das Repertoire für das Hamburger Cithrinchen aus einfach arrangierten Liedern, Opernarien, stilisierten Tänzen u.a. Von Anfang an schien es ein Instrument für den Gebrauch in Frauenhänden zu sein. Die zeitgenössische Literatur verweist immer wieder darauf: "Guittar or Guitarra, a String instrument [...] much in use among the Ladies of Great Britain", heißt es im Wörterbuch von John Binns [Hoyle]: A Complete Dictionary of Music, London 1770 (vgl. Coggin 1987, S. 205ff.).
Johann Elias Zeissig, gen. Schenau (1737-1806): Kleine Figurenszene, Kupfer, 37 x 30 cm; Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv.-Nr. Ma 46/03 Johann Elias Zeissig, gen. Schenau (1737-1806): Kleine Figurenszene, Kupfer, 37 x 30 cm; Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv.-Nr. Ma 46/03 (Detail)
Johann Elias Zeissig, gen. Schenau (1737-1806): Kleine Figurenszene, Kupfer, 37 x 30 cm; Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv.-Nr. Ma 46/03; English Guitar mit Kapotaster
Neben einer Reihe weniger bedeutender Komponisten (Verzeichnis siehe Coggin 1987, S. 218) widmeten sich auch namhaftere, vor allem nach England eingewanderte Italiener und Deutsche, dem Instrument. Eine der frühesten Kompositionen für die English guitar stammt von G. B. Marella: Sixty Six Lessons for the Cetra or Guittar (London 1757). Francesco Geminiani veröffentlichte drei Jahre später The Art of Playing the Guitar or Cittra (Edinburgh 1760) und um 1775 schrieb Johann Christian Bach A Sonata for the Guitar.
J. F. Nale - La Femme qui touche de la Guitare  
J. F. Nale: La Femme qui touche de la Guitare, Kupferstich, 120 x 80 mm, signiert unten recht: "Nale sculp."
1758 publizierte Robert Bremner, ein Schüler von Francesco Geminiani, das wohl bedeutendste Lehrwerk für das Instrument: Instructions for Guitar (Edinburgh 1758). Seinen Anweisungen folgend, wurde die English guitar in Anlehnung an die Lautentechnik gespielt: in Zupfspielart - also nicht mit Plektrum - mit den Fingerspitzen von Zeige-, Mittel- und Ringfinger, für die unteren Saiten mit Daumenanschlag.
Notiert wurde die Literatur für English guitar fast ausnahmslos in moderner Notenschrift, Tabulaturen wie beispielsweise in Geminianis The Art of Playing the Guitar or Cittra bleiben Ausnahmen.
Schule für English guitar, um 1800, Ms. Schule für English guitar, um 1800, Ms., Privatbesitz Wolfgang Meyer, Berlin; ohne Datierung, 6 fol., 11 beschriebene Seiten, gew. Notenschrift, Liedtexte und Einführung in Notation und Applikatur in deutscher Sprache, 38,5 x 23,5 cm; Titel f.1r: "Pour Guitarre anglaise. / Madms. Diehl."; f. 2r: Stimmung: g h d' g' h' d² ; f. 2v-6r zwei- und dreistimmige Sätze für English guitar solo (Arien, Quadrille Ecossaise, Walzer, Mazurka, Andante con Variation), Lieder und Arien ("Eine Hand voll Erde", "Freut euch des Lebens", "Lina bald bist du mein")
Das Instrument Inv.-Nr. 577 darf als ein relativ eigenständiges - an der English Guitar angelehntes - Zisternmodell gelten, das zudem - wie auch die thüringische Sister Inv.-Nr. 621 - eine Übergangsform zur Gitarre darstellt. Korpusform, unterständige Saitenbefestigung und Steg weisen es als Zister aus, währenddessen die sechssaitige Besaitung und das Wirbelbrett mit den hinterständigen Steckwirbeln als Merkmale der Gitarre, wie sie sich um 1800 herausbildete, gelten müssen. Die Mensur von ca. 435 mm entspricht auch den gängigen Zisternmensuren. Eine Klassifizierung als Terzgitarre - im Katalog von Georg Kinsky (1912) wird das Instrument als Terzgitarre bezeichnet; die älteren Inventare führen es als "Guitarrino" (de Wit 1894, S. 10; de Wit 1903, S. 77f.) - scheint sehr fraglich, denn die Mensur würde eher auf eine Quintgitarre hindeuten. Des weiteren sind Lochbohrungen durch Griffbrett und Hals, die zur Befestigung eines Kapotasters dienen - bei Inv.-Nr. 577 später wieder verschlossen - typische Merkmale der Zistern vom Typ der English guitar.
Die Sammlung des Musikinstrumenten-Museums der Universität besaß ursprünglich vier English guitars (Inv.-Nr. 622-625), von denen allerdings drei die Kriegswirren nicht überstanden. 1995 konnte ein Instrument von Preston (Inv.-Nr. 5005) neu erworben werden.
Inhalt  |  Zistern - Überblick  |  577  |  622  |  623  |  624  |  625  |  5005  |  Bibliographie
© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 2009