Gitarrenmodell "Konzert Weißgerber" |
Angela Waltner |
Im Gegensatz zu allen anderen Gitarren Richard Jacobs im Besitz des
Leipziger Musikinstrumentenmuseums existiert zum Instrument mit der
Inv.-Nr.4882 keine Beschreibung Martin Jacobs. Unklar bleibt auch,
welche Bedeutung die Modellbezeichnung hat. Im Werkstattinventar
existiert eine Kopfschablone, die der vorliegenden Form entspricht. Sie
trägt die Beschriftung Martin Jacobs "für Vihuelen oder franz Wappenform
(Rume-Schlaggitarre)" und ist mit zwei unterschiedlich breiten Hälften
für ein elf- bzw. sechssaitiges Instrument vorgesehen. Obwohl die
Gitarre mehrere Merkmale seiner Konzert-, d.h. Darm
(Nylon)-Saitengitarren dieser Zeit aufweist (insbesondere
Leistenanordnung, Kehlung bei Decke und Boden), ist sie jedoch in ihrer
Konstruktion ganz offensichtlich als Stahlsaitengitarre angelegt. |
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Vor 1900 entwickelte Orville Gibson, der Gründer der Firma
Gibson, in den USA einen Gitarrentyp, der sich an
Konstruktionsmerkmalen der Violine orientierte. Von deren
funktionaler Perfektion angeregt, versuchte er neue
Bautechnologien, indem er vor allem die Wölbungen auf Boden und
Decke ausstach. Die Instrumente in den ersten Jahren versah er
noch mit einem Steckersteg. Erst in den Jahren 1909-1911 führte
er als logische Weiterführung den trapezförmigen Saitenhalter
und den zweifüßigen Aufstellsteg ein. Letzterer war zu Beginn
noch in seiner Höhe festgelegt. |
Richard Jacob: Modell "Konzert Weißgerber", Markneukirchen
1949; Inv.-Nr. 4882; Saitenhalter und Steg |
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Der mittels zweier Schrauben höhenverstellbare Steg wurde von Lloyd
Loar eingeführt, der ab 1920 bei der Firma Gibson angestellt war (Evans
1977, S. 226; vgl. Gibson L-4 carved-top guitar 1920). Dieser erstellte
1924 auch das Design für die L-5-Serie, bei der das Schalloch - wiederum
in Anlehnung an die Violine - durch f-Löcher ersetzt wurde. |
Schon von Anfang an waren Gibsons Gitarren , vielleicht beeinflußt
durch seine Arbeit mit Mandolinen, für Stahlsaiten ausgelegt. Nach Evans
war er damit einer der ersten professionellen Gitarrenbauer, die
Stahlsaitengitarren herstellten (Evans 1977, S. 220ff.). |
Der Gitarrentypus war nun dem Aufbau der Geige recht nahe. Der Hals
ist etwas nach hinten geneigt, die Saiten laufen über einen Steg zum am
Korpusende befestigten Saitenhalter. Der Druck auf die Decke wirkt
vertikal. Gegenüber einer Gitarre mit aufgeleimtem Steg vergrößert sich
der Saitenwinkel. Dadurch kann eine größere Kraft wirken, wodurch die
Gitarre ein großes Volumen erhält. Durch den Deckenaufbau ist das
Sustain recht kurz. Damit eignete sich dieser Gitarrentyp besonders für
die Tanzbands und Jazzorchester der zwanziger und dreißiger Jahren. Mit
Plektrum gespielt, wurde es hauptsächlich als Rhythmusinstrument
eingesetzt, aber auch als Soloinstrument für Passagen mit schnellen
Läufen. |
Der Markt für diese Gitarren wurde von Gibson beherrscht. In den
dreißiger Jahren stiegen auch andere Firmen erfolgreich ein. Aus dieser
Zeit gibt es von kleinen Herstellern wie Charles Stromberg und John
D’Angelico sehr hochwertige Instrumente. Die Firma Martin brachte neben
mehreren Jazzgitarrenmodellen 1932 ein Modell (00-18S) auf den Markt,
das sich schon wieder mehr an der Tradition ihrer Westernmodelle
anlehnt. Die Decke aus Fichtensperrholz wurde in eine Form gepreßt, eine
billigere Methode zur Herstellung der Wölbung. Die Instrumente besitzen
ein Schallloch und tragen eine vereinfachte Kreuzbeleistung. Das Modell
fand eine Abwandlung zu R-18, das bis 1941gebaut wurde (vgl. Evans1977,
S. 229). |
Außerhalb den Vereinigten Staaten stellte es die Firma Selmer in
Paris, die nach dem Konzept von Mario Maccaferri gleichfalls ab 1932
Jazzgitarren her. Maccaferri erlernte in der Werkstatt von Luigi Mozzani
den Gitarrenbau und startete eine bedeutende Karriere als klassischer
Gitarrist. Ausgehend von dem Wunsch, der Gitarre einen stärkeren,
sonoren Klang zu geben, entwickelte er einen vergrößerten Korpus und
baute einen zweiten, inneren Resonanzkörpers ein. Selmer realisierte
verschiedene Modelltypen, Darm- und Stahlsaitenmodelle. Äußere Merkmale
sind vor allem gerade Cutaway und breite D-förmige Schallöcher. Galt
Maccaferris Interesse hauptsächlich der klassischen Gitarre, so waren es
doch Stahlsaitengitarren, die Bedeutung erlangten. Den größten
Produktionsanteil stellte bis zum Bruch Maccaferris mit Selmer 1933 ein
viersaitiges Modell, von Eddie Freeman zur Bekanntheit gebracht. Das
Orchester- oder Jazz-Modell erlangte durch den Jazz-Gitarristen Django
Reinhard Weltruhm. Diese Modelle tragen Saitenhalter sowie einen
beweglichen Steg, der mit den aufgeleimten schmalen, spitzen Flügeln
typisches Merkmal sind. Der Klang dieser Gitarren ist weicher als der
der Westerngitarren, sie haben mehr Sustain als die Jazzgitarren mit
ausgestochener Wölbung. |
Die Firma Selmer veränderte die Modelle nach Maccaferris Weggang
dahingehend, daß der innere Resonanzkörper aufgegeben wurde und statt
des D-förmigen Schalllochs ein kleines, meist ovales erschien. Schon
bald kamen von etlichen Herstellern v.a. aus Frankreich und Italien
Kopien auf den Markt (vgl. Charle 1999). |
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Das von Richard Jacob als "Konzert-Weißgerber" bezeichnete
Instrument Inv.-Nr. 4882 knüpft an die Gestaltungskonzepte der
beschriebenen Modelle an. Für welchen Zweck er dieses Modell
vorsah und wie oft es von ihm gebaut wurde, ist nicht geklärt.
Vor dem Krieg lieferten auch die größeren Markneukirchener
Handelsfirmen einfache Schlaggitarren (vgl. Katalog Schuster
1933). Vielleicht mußte nach deren Verschwinden der bestehende
Bedarf durch einzelne Handwerker abgedeckt werden. |
Richard Jacob: Modell "Konzert Weißgerber", Markneukirchen
1949; Inv.-Nr. 4882 |
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Decken- und Beleistungsstärke entsprechen einem
Stahlsaitenmodell, die Beleistungsanordnung annähernd der eines
Konzertmodells (vgl. Inv.-Nr. 4772). |
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Richard Jacob: Modell "Konzert Weißgerber", Markneukirchen
1949; Inv.-Nr. 4882; Deckenbeleistung |
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Ob es sich bei dem auf der Kopfschablone erwähnten Rume (frz.?) um den
Besitzer oder den Hersteller eines Vorlageinstrument handelt, ist noch zu
eruieren. In der optischen Gestaltung jedenfalls blieb sich Richard Jacob treu.
Anleihen früher Modelle (Kopfform, ovale Rosette mit Lorbeerblatteinlagen)
machen das Instrument unverwechselbar.
Die mit 6 mm relativ hohe Wölbung soll den größeren Saitendruck aufgefangen. Der
Kopf trägt eine Mechanik mit hinterständigen Wirbeln und seitenständigen
Knöpfen. Das Griffbrett ist über der Decke freistehend, der 14. Bund liegt am
Korpusrand (1929 von Martin eingeführt, OM-45; vgl. Evans 1977, S. 245). Mit dem
mittels Schrauben höhenverstellbaren Steg und dem trapezförmigen Saitenhalter
weist die Gitarre zusätzliche Merkmale amerikanisch geprägter Jazz-Gitarren auf. |
Richard Jacob: Modell "Konzert Weißgerber", Markneukirchen 1949; Inv.-Nr.
4882; Wirbelbrett |
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