Akustische Untersuchungen zu Klangeigenschaften von Weißgerber-Gitarren |
Eberhard Meinel |
Meß- und Auswertemethodik |
Als repräsentatives Verfahren zur
objektiven Klangbeurteilung wurde die Messung der Frequenzkurve gewählt.
Sie beinhaltet sowohl modelltypische als auch instrumententypische
individuelle Merkmale der Gitarren. Die Frequenzlage der Resonanzen des
Instrumentes, die sich durch Anhebungen im Frequenzgang (Peaks)
darstellen, sowie deren Intensität lassen Rückschlüsse auf den Klang,
die Lautstärke sowie weitere akustische Eigenschaften zu. Zu beachten
ist dabei, daß die Klangbeurteilung durch Spieler und Hörer zusätzlich
verschiedenen subjektiven Einflüssen (Spieltechnik, Saiteneigenschaften,
Musikgenre, individuelle Wertvorstellungen u.a.) unterliegt, die
meßtechnisch nicht oder nur schwer objektivierbar sind. |
Die Frequenzkurven wurden im
reflexionsarmen Raum des Institutes für Musikinstrumentenbau Zwota (IfM)
nach folgendem Verfahren aufgenommen: |
- |
Das Instrument befindet sich in
Spielhaltung, wobei die Saiten durch die Finger der linken Hand
bedämpft werden. |
- |
Die Anregung des Instrumentes erfolgt von Hand mittels eines leichten Schlages mit einem
Impulshammers (PCB 086B01) auf die Stegeinschub-Mitte, senkrecht
zur Decke. |
- |
Der abgestrahlte Schallimpuls in
Form eines Klopftones enthält alle relevanten Informationen über
die Resonanzeigenschaften des Instrumentes und wird über ein
Meßmikrofon (Mikrofonposition: 1 m Entfernung, senkrecht zur
Decke gegenüber Schalloch) aufgenommen und einer
Auswerteapparatur (FFT-Analysator) zugeleitet. |
- |
Es wird die Übertragungsfunktion (Schalldruck am Mikrofon/Kraft am Steg) gebildet. Für die Kalibrierung der Apparatur gilt (Pa - Druckeinheit Pascal,
N - Krafteinheit Newton):
|
|
Im Ergebnis der Messungen liegen die Frequenzkurven im Frequenzbereich 0 ... 5 kHz mit einer linearen Auflösung von 3,125 Hz
bei 1600 Stützstellen vor. Aus diesen Kurven lassen sich nach einem im Institut für Musikinstrumentenbau Zwota entwickelten und standardmäßig
für Gitarren verwendeten Verfahren (Ziegenhals 2000, S. 232 f.) Merkmale extrahieren, die zur Bewertung der Instrumente herangezogen werden
können und eine hohe Korrelation zu subjektiven Empfindungsgrößen aufweisen: |
f1 |
Frequenz des ersten Peaks (ca. 100 Hz) der Frequenzkurve.
Der erste Peak wird von der sogenannten Hohlraumresonanz, eine Kombination aus Hohlraum- und 1. Deckenmode, bestimmt. Eine
tiefere Abstimmung dieser Resonanz begünstigt die Abstrahlung der tiefsten Töne der Gitarre E ... A (82 ... 110 Hz). |
b2 |
Halbwertsbreite als Maß für die
Dämpfung des zweiten Frequenzkurvenpeaks. Sie wird durch die
erste reine Deckenmode (Frequenz um 200 Hz) bestimmt und soll
möglichst niedrig sein. |
L3 |
Pegel der dritten Resonanz der
Frequenzkurve.
Der dritte Peak liegt etwa bei 400 Hz. Ist er stark ausgeprägt,
wirkt sich das positiv
auf die Abstrahlung der oberen Mittellage um die Töne f' ... a'
aus. Die Pegel werden größer, wenn die dritte Deckenmode
unsymmetrisch schwingt und damit besser abstrahlt. |
L50 ... 5k |
Pegelmittelwert im Bereich 50 Hz
bis 5 kHz. Er korreliert mit der Lautstärke des Instrumentes und
soll möglichst groß sein. |
L50 ... 200 |
Pegelmittelwert im Bereich 50
bis 200 Hz. Maß für die Abstrahlung im Baßbereich der Gitarre (E
... g). Ein hoher mittlerer Bereichspegel ist günstig. |
L0,8 ... 1,2k |
Pegelmittelwert im Bereich 0,8
bis 1,2 kHz. Maß für die Klarheit. Hohe mittlere Pegel in diesem
Bereich weisen auf eine gute Klarheit im Klangbild hin. |
L2,0 ... 5,0k |
Pegelmittelwert im Bereich 2 bis 5 kHz. Maß
für Helligkeit und Schärfe.
Ein möglichst hoher mittlerer Pegel in diesem Bereich ergibt
positive Urteile bezüglich Helligkeit und Schärfe des Klanges.
Pegelmittelwerte werden dabei stets energetisch ermittelt: |
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Meßergebnisse |
Die gemessenen Frequenzkurven in Form
der Übertragungspegel sind in den ausgewiesenen Diagrammen der
Instrumente Inv.-Nr. 4752 bis 4934 dargestellt. Die Kennzeichnung der
Instrumente erfolgt durch ihre Modellbezeichnung, Inventarnummer und das
Baujahr. Zur besseren Orientierung wurden die für einige ausgewählte
Merkmale relevanten Bereiche markiert. Tabelle 1 beinhaltet eine
Zusammenstellung der ausgewählten Frequenzkurvenmerkmale. |
Frequenzkurven-Diagramme |
|
Signifikante Unterschiede in den
Frequenzkurven können auf die Baugröße, Bauweise und den Materialeinsatz
zurückgeführt werden. Für den Klangeindruck sind dabei nicht die
absoluten Werte ausschlaggebend, sondern es muß der Zusammenhang mit dem
Gesamtverlauf der Frequenzkurve, das Verhältnis der Pegel in den
klangrelevanten Frequenzbereichen zueinander, gesehen werden.
Rückschlüsse auf Klangunterschiede lassen sich im direkten Vergleich der
Frequenzkurven ziehen. Insbesondere bei ähnlichen Modellen und Baugrößen
ergeben sich Hinweise auf individuelle Baumerkmale, die sich in
Klangnuancen niederschlagen. |
Die Frequenzlage der Hohlraumresonanz f1
korreliert mit dem eingeschlossenen Luftvolumen und somit der Baugröße.
Größeres Korpusvolumen führt zu einer tieferen Frequenz. Weitere
Einflußfaktoren sind die Schallochgröße und Flexibilität der Decken- und
Bodenkonstruktion. Kleinere Schallochfläche und weichere
Deckenabstimmung bedingen ebenfalls ein Absinken der
Hohlraumresonanzfrequenz. Ausprägung und Frequenz der Hohlraumresonanz
bestimmen neben dem mittleren Pegel im Frequenzbereich von 50 bis 200 Hz
maßgeblich die Abstrahlung dieses Bereiches und somit Klangvolumen und
Sonorität. Ein stark überhöhter Peak ist jedoch klanglich nicht
unbedingt von Vorteil (Meyer 1994), da das Instrument zum Dröhnen
tendiert. Typische Frequenzwerte für moderne Konzertgitarren betragen
etwa 100 Hz. Vergleichbare Resonanzlagen wurden auch bei den
Torres-Modellen gemessen. Lediglich Instrument Inv.-Nr. 4772 ist
deutlich tiefer abgestimmt, allerdings auch stärker bedämpft. Ursache
ist die im Vergleich zu anderen Modellen mit Hohlkehle stärkere
Ausarbeitung der Randzone. Aufgrund der Bedämpfung der Hohlraumresonanz
und hohen Pegeln im oberen Frequenzbereich besteht jedoch keine
Baßlastigkeit. |
Erwartungsgemäß weisen das Baßmodell
(Inv.-Nr. 4777) und die Gitarre mit der Doppeldecke (Inv.-Nr. 4773)
aufgrund der großen Korpora ebenfalls eine tiefe Frequenzlage auf. Im
Hinblick auf den tiefsten Ton H' des Baßmodells, was einer Frequenz des
Grundtones von etwa 62 Hz entspricht, besteht jedoch aus akustischer
Sicht eine Diskrepanz zwischen Abstrahlung und Tonumfang. Noch stärker
ist dies bei der Doppelhalsgitarre (Inv.-Nr. 4776) ausgeprägt. Mit 109
Hz liegt die Hohlraumresonanz relativ hoch. Die Grundtöne der tiefsten
Saiten – die E1-Saite hat eine Grundtonfrequenz von 41 Hz – werden daher
baubedingt nur schwach wiedergegeben. Die größeren Saitenlängen mindern
den Effekt etwas. Eine deutlich kräftigere Baßabstrahlung würde jedoch
wesentlich größere Korpora voraussetzen. |
Modellbedingt entsprechend hoch, bei
Werten zwischen 140 und 153 Hz, liegen die Hohlraumresonanzen bei den
kleineren Biedermeier- und Wiener Modellen sowie bei den Vihuelen. Eine
Ausnahme bildet das mit 128 Hz tiefer abgestimmte Instrument Inv.-Nr.
4761, was auf eine etwas weichere Decke und größeres Luftvolumen durch
höhere Zargen zurückgeführt werden kann. Der Klang dieser kleinen
Bauformen wirkt im Vergleich etwa zu den Torresmodellen natürlich
flacher und weniger kräftig im Baßbereich. |
Tab. 1: Ausgewählte Frequenzkurvenmerkmale |
Inv.-Nr. |
Modell |
f1 (Hz) |
f3 (Hz) |
L3
(dB) |
L50 ... 200
(dB) |
L0,8 ... 1,2k
(dB) |
L2,0 ... 0,5k
(dB) |
L50 ... 5k
(dB) |
4752 |
Biedermeier |
147 |
525 |
-07,6 |
-11,3 |
-07,8 |
-15,4 |
-13,0 |
4753 |
Biedermeier |
153 |
409 |
-12,0 |
-14,1 |
-08,8 |
-15,9 |
-14,3 |
4754 |
Biedermeier |
141 |
578 |
-06,9 |
-15,7 |
-10,2 |
-18,7 |
-15,1 |
4755 |
Biedermeier |
150 |
681 |
-5,5 |
-10,6 |
-12,8 |
-12,3 |
-12,3 |
4756 |
Biedermeier |
147 |
469 |
-13,3 |
-13,3 |
-08,2 |
-15,4 |
-13,4 |
4757 |
Vihuela |
153 |
453 |
-14,0 |
-12,3 |
-12,0 |
-15,6 |
-14,4 |
4758 |
Vihuela |
163 |
453 |
-15,7 |
-12,1 |
-12,2 |
-17,7 |
-15,0 |
4759 |
Wiener |
141 |
384 |
-14,9 |
-12,3 |
-08,3 |
-16,2 |
-13,4 |
4760 |
Wiener |
147 |
397 |
-12,7 |
-12,1 |
-08,4 |
-18,2 |
-14,1 |
4761 |
Wiener |
128 |
484 |
-10,5 |
-13,7 |
-11,1 |
-19,4 |
-15,4 |
4762 |
Wiener |
144 |
393 |
-13,3 |
-11,8 |
-11,3 |
-14,8 |
-13,4 |
4763 |
Münchner |
144 |
366 |
-14,0 |
-14,4 |
-10,1 |
-16,8 |
-14,3 |
4764 |
Münchner |
106 |
419 |
-05,3 |
-14,4 |
-12,5 |
-18,6 |
-15,0 |
4765 |
Torres |
097 |
419 |
-02,6 |
-08,5 |
-12,9 |
-17,0 |
-14,3 |
4766 |
Spanisch |
109 |
378 |
-07,3 |
-07,9 |
-11,7 |
-13,8 |
-12,7 |
4767 |
Torres |
103 |
384 |
-02,7 |
-11,0 |
-14,8 |
-13,8 |
-13,9 |
4768 |
Spanisch |
122 |
441 |
-06,7 |
-14,6 |
-12,6 |
-15,7 |
-13,8 |
4769 |
Torres |
103 |
438 |
-07,4 |
-11,0 |
-16,7 |
-16,8 |
-15,5 |
4770 |
Torres |
100 |
391 |
-04,6 |
-09,5 |
-10,4 |
-13,9 |
-13,1 |
4771 |
Torres |
100 |
469 |
-05,7 |
-11,5 |
-14,7 |
-18,2 |
-15,9 |
4772 |
Torres |
081 |
469 |
-01,7 |
-12,3 |
-09,9 |
-13,7 |
-13,2 |
4773 |
Doppeldecke |
094 |
393 |
-08,6 |
-14,7 |
-12,0 |
-16,3 |
-14,5 |
4774 |
Strad |
103 |
422 |
-06,1 |
-11,0 |
-15,0 |
-13,3 |
-12,8 |
4775 |
Record |
131 |
450 |
-14,7 |
-13,7 |
-12,3 |
-18,0 |
-14,9 |
4776* |
Baßgit. (13sait.) |
109 |
422 |
-13,6 |
-14,8 |
-17,1 |
-20,9 |
-19,3 |
4776** |
Baßgit. (13sait.) |
109 |
425 |
-12,5 |
-14,3 |
-12,2 |
-19,5 |
-17,1 |
4777 |
Baßgit. (9sait.) |
091 |
416 |
-05,8 |
-10,7 |
-17,2 |
-17,4 |
-16,3 |
4882 |
Konzert |
106 |
444 |
-08,9 |
-16,0 |
-13,2 |
-17,4 |
-15,2 |
4934 |
Karl August Jacob |
118 |
369 |
-14,6 |
-13,5 |
-16,0 |
-17,0 |
-16,1 |
|
* |
Anregung baßseitig |
** |
Anregung diskantseitig |
|
Die Pegelmittelwerte in den in Tabelle 1
ausgewiesenen Frequenzbereichen erlauben Rückschlüsse auf das
energetische Potential der Instrumente. Dabei ist zu beachten, daß eine
Erhöhung des Schalldruckpegels um 6 dB bereits einer Verdopplung des
Schalldruckes entspricht. |
Der mittlere Gesamtpegel (L50...5k) korreliert mit
der Lautstärke, wobei der mögliche Einfluß unterschiedlicher Besaitungen
sowie hörpsychologisch bedingte Besonderheiten der Lautstärkeempfindung
unberücksichtigt bleiben. Überdurchschnittlich gute Werte setzen Pegel
größer –13,5 dB voraus, was nur einige Instrumente erreichen. Die
Instrumente aus der vorliegenden Sammlung sind in der Tendenz daher eher
als mäßig laut einzustufen. |
Auch das Modell mit der Doppeldecke (Inv.-Nr. 4773)
verfügt entgegen den zu vermutenden konstruktiven Absichten nur über
mittlere Lautstärkewerte. Allerdings sind erwartungsgemäß anstelle des
Peaks für die tiefste Deckenresonanz zwei separate Resonanzen
nachweisbar, so daß man mit einer gewissen Berechtigung von einer
Doppelresonanzgitarre sprechen kann. Der Peak bei 180 Hz ist der unteren
Decke zuzuordnen. Die erste Deckenresonanz der oberen Decke liegt bei
220 Hz. |
Im Bereich 0,8 bis 1,2 kHz, der für die Klarheit
mitbestimmend ist, schneiden die kleineren Baugrößen im allgemeinen
etwas besser ab. Hohe Werte wurden insbesondere bei den Instrumenten mit
den Inv.-Nummern 4752, 4743, 4756, 4759 und 4760 gemessen. |
Auf deutliche Klangunterschiede weisen die
Frequenzkurven und die daraus extrahierten Merkmale der beiden Münchner
Modelle Inv.-Nr. 4763 und 4764 (Tabelle 1) hin. Instrument Inv.-Nr. 4763
ist etwas kleiner, und infolge der Querbeleistung und etwas größeren
Deckenstärke ergibt sich eine größere Steifigkeit der Decke gegenüber
der bei Instrument Inv.-Nr. 4764 verwendeten Kreuzbeleistung. Dies
bedingt eine höhere Frequenzlage der Hauptresonanzen, was insbesondere
bei der Hohlraumresonanz deutlich wird. |
Wertet man die Merkmalswerte statistisch aus, so kann
man feststellen, daß trotz der konstruktiv bedingten großen Streuung die
Werte der Gesamtstichprobe Weißgerber dennoch eine gewisse Einheit
bilden, von der sich nur Instrument Inv.-Nr. 4776
(Doppelhals-Baßgitarre) in einem der beispielhaft ausgewählten
Merkmalsräume (Diagramm 2) abhebt. |
|
Diagramm 1:
Merkmals-Streudiagramm L50...200 über der Frequenz der Hohlraumresonanz |
|
Diagramm 1 zeigt den mittleren Übertragungspegel im
Baßbereich über der Frequenz der Hohlraumresonanz. Im Normalfall der
spanischen Gitarre wächst der Baßpegel mit sinkender
Hohlraumresonanzfrequenz, d.h. die Instrumente sind weicher abgestimmt.
Man erkennt, daß die Torres- und die meisten sonstigen Modelle diesem
Muster folgen, die Wiener und Biedermeiergitarren sich jedoch gerade
entgegengesetzt verhalten. |
|
Diagramm 2:
Merkmals-Streudiagramm L0,8...1,2k über dem Pegel der Gesamtabstrahlung |
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Diagramm 2 stellt den mittleren Pegel 800...1200 Hz
(Klarheitsmaß) über dem Gesamtübertragungspegel (Lautstärkemaß) dar. Es
zeigt sich ein Klarheitsoptimum, dessen Gipfel durch die Wiener und
Biedermeiergitarren gebildet wird. |
|
Diagramm 3:
Merkmals-Streudiagramm L3 über der Abstrahlung im Baßbereich |
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Die Gegenüberstellung in Diagramm 3 betrifft die
Ausprägung der dritten Resonanz der Übertragungskurve L3 im Vergleich
zum Baßbereich. Positiv sind hohe Pegel in beiden Bereichen. Zutreffend
ist dies für die Torres- und zwei der Biedermeiermodelle. Insbesondere
die Wiener Modelle werden ein "Loch" im Bereich der Oktave f' ... f²
aufweisen. |
Inhalt |
Weißgerber-Gitarren: Überblick | Bibliographie |
© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 2007 |