Vogtländische Geigenmacher in Dresden - Die "Acta der hiesigen Streich-Instrumentenmacher 1839"
Bernhard Hentrich
Manche Fragen kehren im Umfeld des vogtländischen Geigenbaus immer wieder: Warum haben wir so wenige Nachweise von vogtländischen Geigenbauern außerhalb ihrer Heimat vor den 1860/70er Jahren? War die Beschränkung der Gewerbefreiheit wirklich so hart? Waren die Geigenbauer tatsächlich, wie Herbert Heyde [1] nahe legt, durch die geographisch gegründete Abhängigkeit von Verlegern zur  Massenproduktion  verdammt? Konnte man "einfach" woanders sein Glück versuchen?
Es soll der Versuch unternommen werden, diesen Fragen an Hand einer wenig beachteten Akte des Stadtarchivs Dresden nachzugehen:
Acta. / der hiesigen Streich-Instrumentenmacher / Johann Gottfried Schäfer und Cons: / geführte Beschwerde
gegen / mehrere Personen, Friedrich Wilhelm Ehrlich und Cons: / wegen Handels mit Streich // Instrumenten
Ergangen bey dem Rathe zu Dresden / ao: 1839
Die Akte umfasst insgesamt 33 paginierte Blätter. Davor sind mehrere teils beschriebene Bögen zum Instrumentenmacher Samuel Gottfried Wiesner eingelegt, die aber nicht in Zusammenhang mit dem Rechtsstreit stehen. Der Aufbau gliedert sich wie folgt:
fol. 1 – 4: Anzeige 11. August 1839 wegen Neubau, Reparatur sowie Handel mit Streichinstrumenten gegen 5 Personen [Schlick, Ehrlich, Reding, Meinel, Schatz] und im Nachtrag vom 13. August auch gegen Hederich. Die Beschwerdeführer waren: Schäfer, Heberlein, Weichold, Joppert.
Der siebenseitige Brief an den Stadtrat spiegelt den Kampf um die Verteilung des Marktes wieder. Anlass ist das Bürgergesuch von Ehrlich, welches der angestrebten Gewerbeerlaubnis vorausgehen muss. Ehrlich versucht nach dem Tod des ehemaligen Hofinstrumentenmachers Johann Benjamin Fritzsche [gest. vor September 1837], bei welchem er 4½ Jahre Gehilfe war, seine Selbstständigkeit nun allmählich in offizielle Bahnen zu lenken. Weiterhin drängt seit einiger Zeit ein weiterer "Ausländer" in dieses Gewerbe: mit seinem 1831 erfolgten Hauskauf konnte der Markneukirchener H. A. Schatz den Anspruch auf  Bürgerrecht verbinden. Wer sind, neben den bereits erwähnten Ehrlich und Schatz, die anderen Angeklagten? Schlick steht seit 1823 als Cellist bei der Königlichen Kapelle in Diensten und beschäftigt sich nebenberuflich mit dem Geigenbau. Und der eigentlich mit Schuhmacher-Zubehör handelnde Meinel, soll – so die Ankläger - wie Schatz über ein bedeutendes Warenlager vogtländischer Streichinstrumente verfügen.
fol. 5/6: Der Advokat Schüttler erhält am 11. August die Vollmacht von den Klägern.
Wer sind die Kläger? Es sind die "Alteingesessenen" also Handwerker, welche seit vielen Jahren in der Stadt tätig sind. Schäfer erhält im Jahr 1813, Heberlein 1823 das Bürgerrecht, beide sind Söhne Dresdner Bürger. Joppert wohnt seit spätestens 1823 in Dresden und Weichold, um 1820 nach Dresden gekommen, ist seit 1837 Instrumentenmacher der Königlichen Kapelle.
fol. 7/8r.: weitere Anzeige vom 02. September gegen Melzer der "ein Commisionslager von Klingenthaler Waren" hält [fol. 7r.]; fol. 9-12: am 06. September erfolgt die persönliche Vernehmung der Angeklagten in der Ratsstube
Letztlich sind es also insgesamt sieben Angeklagte: Ehrlich sieht sich als ausgebildeter Geigenbauer. Sein bereits vor längerer Zeit gestelltes Bürgerschaftsgesuch sei noch immer nicht beantwortet. Schlick stellt die Geigenbauerei als Nebentätigkeit dar. Melzer hingegen behauptet, er verleihe nur die Streichinstrumente und stellt sich entschieden gegen die Behauptung, er verkaufe, baue oder repariere diese. Meinel wiederum verneint, ein großes Instrumentenlager zu haben. Lediglich die von seinen Bruder in Klingenthal überbrachten Instrumente würde er verkaufen oder reparieren [Angesichts der Häufung des Namens Meinel eine spezielle Bemerkung, B. H.]. Dies wäre aber in Einklang mit seinem Status als verabschiedeter Berufssoldat. Schatz schließlich beruft sich darauf, dass er Meister der Innung in Neukirchen sei, welche ja wohl für das ganze Land gelte und er folglich ein Recht auf Handel und Gewerbe habe. Reding gibt Neubau, Hederich die Reparatur von Streichinstrumenten zu, was sie aber auf Grund ihrer Stellung  als ehemalige Berufssoldaten zur Besserung des Gehalts auch dürften.
fol. 13-15r.: Entscheid des Stadtrats vom 04. Oktober: Der Klage wird statt gegeben.
Die Angeklagten Ehrlich, Schlick, Melzer, Meinel und Schatz haben sich der Fertigung, Reparatur, Verleihung und Verkauf von Streichinstrumenten bei 5 Talern Geldstrafe zu enthalten. Ihre Tätigkeit muss ohne Zweifel als ein Gewerbe angesehen werden. Sie tragen außerdem die Gerichtskosten.
Reding und Hederich werden auf Grund ihrer Militärzeit und der daraus sich ergebenden Vergünstigungen  freigesprochen, die Kläger  tragen dafür die Kosten.
fol. 15v./16: mit dem Datum 19. Oktober erfolgt die Publizierung des Bescheids in der Ratstube;
fol. 17: Schlick bittet zum 29. Oktober um etwas Zeit zur Formulierung des Recurs;
fol. 18/19: Schatz geht zum 29. Oktober in Recurs.
Der Saitenmacher geht in Widerspruch sowohl gegen den Entscheid, wie auch die Zahlung der Gerichtkosten, da sich die Innung eben nicht nur auf Neukirchen, sondern das ganze Land beziehe. Die Innungsmitglieder sind berechtigt, Handel mit Streichinstrumenten zu betreiben. Außerdem entrichte er Gewerbesteuer von dem Geschäft mit musikalischen Instrumenten und das Hohe Ministerium bezeichnet ihn als Instrumentenmacher zu Markneukirchen [sic] und Neustadt/Dresden.
fol. 20/21: Der Stadtrat zu Dresden gewährt zum 05. November Schlick rückwirkend auf den 29. Oktober eine 14tägige Frist zur Formulierung des Recurses. Schäfer, als Vertreter der Anklage, erhält diese Information, sowie den Hinweis, dass Schatz bereits in Recurs gegangen sei. Schlick wird zum 15. November darauf hingewiesen, dass es nötig für ein weiteres Verfahren sei, die anteiligen Kosten zu begleichen. Schlick zieht zum 16. November seinen Widerspruch zurück, worüber er auch Schatz informiert.
fol. 22: Auf Grund des Einspruchs wird die Streitsache nun an die nächst höhere Gerichtsbarkeit "Königliche Hohe Kreisdirection" mit Datum 16. Dezember 1839 gegeben: der Stadtrat schildert [wiederholend und zusammenfassend] die Situation.
fol. 23-25: Entscheid der zweiten Instanz, der "Königl. Sächs. Kreis Direction" vom 14. März 1840: erfolgreicher Widerspruch von Schatz
Es ist die Entscheidung des Stadtrats "nicht zu belassen, es ist vielmehr Recurrent [also der in Widerspruch gegangene Schatz, B. H.] an dem Verkaufe von Streichinstrumenten nicht zu behindern, und sind aufgewandten Kosten gegeneinander aufzuheben." [fol. 23v.].
Zunächst wird noch einmal die Sicht des Stadtrats dargestellt, welcher sein Urteil vom 04. Oktober 1839 darauf gründete, das Verleih und Verkauf sowie Neubau und Reparatur von Streichinstrumenten als Gewerbe anzusehen sei, "zu dessen Betreibung nach hiesiger Orts-Verfassung außer der Gewinnung des Bürgerrechts die Erlaubnis der Obrigkeit erfordert werde". [fol. 23v.]. Das Recht aus der Innung, so der Stadtrat, sei ein lediglich ein lokales, auf den jeweiligen Ort beschränkt.
Nach eingehender Prüfung auch des von Schatz eingereichten Schreibens [siehe fol. 26-29] entscheidet nun die Kreisdirektion, dass das Recht der Innung für das ganze Land gelte und sich also der "Zunftzwang über ganz Sachsen erstreckt" [fol. 24r.].
fol. 26-29: Brief von Schatz an die Kreisdirektion vom 25. Dezember 1839
Dieser Brief ist nach dem Entscheid eingeordnet, gehört aber chronologisch natürlich davor. Wie der Stadtrat mit dem Schreiben vom 16. Dezember, so schildert nun Schatz noch einmal ausführlich seine Sichtweise.
Linksseitig auf fol. 26r. ist die Bezahlung von Schatz per 03. April eingetragen.
fol. 30: Publizierung des Bescheids am 03. April 1840.
Über die unmittelbare praktische Auswirkung dieses Bescheids weiß man heute, 165 Jahre noch diesen Vorfällen, noch zu wenig. Interessanterweise gelangt ein Sohn eines der Kläger, Richard Weichold, circa 20 Jahre nach der Streitsache wiederum an den Stadtrat, mit dem Ansinnen, auf Grund des Arbeitsmangels die Zahl der Geigenbauer in Dresden auf drei zu begrenzen und keinen neuen zuzulassen, bevor nicht zwei der alten Kollegen gestorben sei. Diesem Gesuch konnte der Stadtrat kurz vor Einführung der Gewerbefreiheit (1861) nicht entsprechen [fol. 31-33].
Zurück zu den eingangs gestellten Fragen: War es wirklich so schwer für die vogtländischen Geigenbauer in der Fremde, an einem mutmaßlich günstigeren Absatzmarkt ihr Handwerk auszuführen? Anhand des Rechtsstreits muss dies bejaht werden: die Ankläger versuchten ja nicht irgendeine leichte Behinderung der Konkurrenz, sondern forderten Berufsverbot für ihre Kollegen. Somit wird nachvollziehbar, warum erst mit der Aufhebung dieser Zwänge so viele Geigenbauer aus dem Musikwinkel in die Sächsische Residenzstadt kamen.
Anhand eines Rechtsstreites aus dem Jahr 1839/40 wurde ersichtlich, in welche Schwierigkeiten auch die vogtländische Geigenbauer geraten konnten, falls sie versuchten, außerhalb der Heimat ihrem Beruf nachzugehen. Da jedoch der Widerspruch des Markneukirchener Meisters der Saitenmacherinnung H. A. Schatz Erfolg hatte, und diese erfolgreiche Gegenklage Geltung für den gesamten Bereich des Geigenbaus hatte, sind hier weitere Erkenntnisse zu erwarten.
Anmerkungen
[1] Heyde, Herbert: Preußen fördert den sächsischen Geigenbau. In: Zum Streichinstrumentenbau des 18. Jahrhunderts. Bericht über das 11. Symposium zu Fragen des Musikinstrumentenbaus 1990. Beiheft 13 zu den Studien zur Aufführungspraxis und Interpretation der Musik des 18. Jahrhunderts Herausgegeben vom Institut für Aufführungspraxis Michaelstein. Blankenburg 1994 S. 66
Projekt Streichinstrumentenbau  |  Bibliographie
© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 2005